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PRESSESTIMMEN WORKING SOCIETY

01 BERLINER ZEITUNG, 12. DEZ. 2016 von Doris Meier Henrich

Kaum auszuhalten dieses Nichts


Weißt du, was dein Problem ist, ruft die Puppenspielerin Melanie Sowa, nachdem ihre Schweige-Übung zum wiederholten Mal gestört wurde: „Du kannst nicht nichts tun!“ Die niedliche Handpuppe in ihrem Arm, die aussieht wie der Faustische Homunkulus, nickt gefällig, nur der so gescholtene Kollege Hans-Jochen Menzel räuspert sich verlegen: Mag schon sein , „ist aber auch nicht einfach auszuhalten, dieses Nichts!“ So insistiert der kleine Teufel, den Menzel mit Hand und Stab auf seinem Knie manövriert.

Neu ist der Laptop

Aber genau dieses „Nichts“ wollen sie hier nun einmal ausprobieren, denn, erstens, so Melanie Sowa, werde das Nichtstun bald wichtiger und verbreiteter sein, als allen lieb ist und, zweitens, kann Neues nur entstehen, wenn man alles Alte radikal beiseiteschafft. Ein paar Augenblicke bleibt die kleine Schaubude dann auch still. Aber das Neue? Was soll das sein? Neu an diesem hochaktuellen Puppentheater-Revisionsabend namens „Working Society“ ist erst mal nur der Laptop auf der Bühne und die kleine Leinwand daneben.

In ihrem Puppenspiel „Working Society“ untersucht die Schaubude das Schrumpfen der Arbeit macht sichtbar, was so alles vor sich geht in dem effizienten Datending: Vorerst nicht viel, aber das wird sich ändern. Melanie Sowa und Hans-Jochen Menzel sind gekommen, um ihren Fundus aufzuräumen und all das, was sich in zwanzig, dreißig Puppenspielerjahren angesammelt hat, zu „digitalisieren“– Dutzende Tüten und Taschen stapeln sich. Dafür fotografieren sie nun erst mal ihre Puppen in Rundum-Ansicht, denn haben sie die im virtuellen Archiv, können die echten Stücke auch weg.

Vieles davon ist sowieso „inhaltlich und formal überholt“, meint Melanie, und virtuell handhabt sich ihr freies Theater sowieso flexibler und billiger. Da hat sie natürlich recht, genauso aber auch Kollege Hans-Jochen, der sich von all dem schönen Material nicht trennen will und sogar den kleinen Igel aus dem Märchen noch wichtig findet. Melancholisch stöbert er zwischen den Charakterköpfen der Vergangenheit, hängt sich alte Kostüme um, nimmt einzelne Puppen und spielt Passagen aus dem „Katzgraben“ und anderen widerspenstigen Erfolgstücken – und tatsächlich blitzen sofort auch hier wieder die Spitzen auf, wenn Hans-Jochen Menzel die Puppenkörper sinnfällig überdehnt oder einigelt.

Auch die beiden historischen Fantasten Herman Sörgel und Paul Scheerbart treten auf, die einst bizarre Wohlstands- Utopien erdachten, in denen beispielsweise ein „Perpetuum mobile“ alle Arbeit der Welt übernehmen sollte. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren das Fantastereien, heute sind es Bilder der unmittelbaren Gegenwart. „Industrie 4.0“ heißt sie und meint die umfängliche Robotisierung aller Arbeitsbereiche.

Ins Herz unserer Tage

In wenigen Jahren werden 50 Prozent der jetzigen Jobs nicht mehr vorhanden sein das ist Fakt. Woher diese 50 Prozent dann ihren Lebensunterhalt beziehen, was überhaupt noch „Arbeit“ bedeuten wird, ist weitgehend ungeklärt. Höchste Zeit, diese Fragen zu stellen, weshalb dieses lebhafte Streitstück ins Herz unserer Tage trifft. Unter der Regie von Mario Hohmann haben die beiden Puppenspieler dafür ein angemessen selbstreflexives Spiel gefunden, das zumindest dialektisch frisch zwischen Karl Marx und Max Weber, Plunder und PC, Leben und Sterben Antworten sucht. Eine ist sicher: Weg kann das nicht.
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PRESSESTIMMEN WORKING SOCIETY

02 FIDENA, DEZ. 2016 von Tom Mustroph

Working Society - Rentenszenario für Puppen

Puppen sind auch nur Arbeitskräfte. Das dachten sich jedenfalls Puppenspielerlegende Hans-Jochen Menzel und seine Kollegin und Ex-Schülerin Melanie Sowa. Unter dem Label United Puppets (Regie: Mario Hohmann) ließen sie in "Working Society" ihre eigenen Puppen vergangener Produktionen in einer Art Assessment Center noch einmal vor sich tanzen und sortierten sie nach einem kurzen Digitalisierungsprozess einfach aus. Sie nutzten den Vorgang natürlich auch, um über alte und neue Arbeitswelten zu philosophieren.

Ihr Spiel hatte erfreulich viele Ebenen. Zum einen lieferten sich Sowa und Menzel den erfrischenden Dialog eines Paares, das endlich mal ausmisten und Platz schaffen will. Das heißt, ausmisten will eigentlich nur Sowa, während Menzel liebevoll Puppe für Puppe betrachtet und überlegt, was diese noch alles könnte. Für erfahrene Puppentheatergänger bedeutet der Prozess eine Wiederbegegnung mit zahlreichen alten Bekannten. Mit dem Wissenschaftler Sörgel aus Sowas "Atlantropa"-Projekt etwa, der in den 1920er Jahren das Mittelmeer trocken legen und so Arbeit und Wohlstand für Europa und Afrika bringen wollte. Oder dem Parteisekretär aus "Katzgraben", einer Gemeinschaftsproduktion von Menzel & Sowa, die sich vor mehr als zehn Jahren am Berliner Gorki Theater auf der Vorlage der sozialistischen Umgestaltung der Landwirtschaft mit der postsozialistischen Umschulung im vereinigten Deutschland auseinander setzte. Oder auch einer massiven, skelett-artigen Puppe aus Menzels "Edda"-Projekt aus dem Jahre 2000.

Diese Puppen werden nun neu aufgeladen. Gut, Sörgel bleibt Sörgel und entwirft weiter geopolitische Großphantasien. Der Ex-Parteisekretär bleibt sich in seinem Wandelwesen treu und performt den flexiblen Menschen. Die "Edda"-Puppe hingegen, nur Wirbelglieder, Kopf und Knochen für die Gliedmaßen, wird im neuen Kontext die Arbeit selbst. Der Mensch ohne Fleisch, reduziert auf den härtesten Kern, auf das, was nach der Verwesung noch übrig bleibt - das ist die Arbeit. Keine schlechte Wahl.

Diese Puppe speit Sätze von Karl Marx aus, über die Ausbeutung durch Arbeit, die Entfremdung durch Arbeit. Der Marx-Text ist an dieser Stelle ein Erlösungstext. Denn zuvor durchschritten Menzel und Sowa mit ihren Puppen das Szenario der Industrie 4.0, das also der Roboter, die den Menschen als Arbeiter ersetzen und, so lauten aktuelle Hochrechnungen, etwa die Hälfte der Menschheit in Zukunft arbeitslos machen werden.

Die Digitalisierung und Robotisierung erzählen Puppets United mit einem Trick: Die analogen Puppen werden digitalisiert. Klick klack, Bilder von vorn, von links und rechts sowie von hinten - und fertig ist die Vorlage für den 3D-Scan. Mit Hilfe des Programms "Crazy Talk" werden die digitalisierten Puppen schließlich zum Sprechen gebracht.

Das Spiel verlagert sich von der Bühne zur Projektionsleinwand. Ein schöner Effekt. Zugleich aber der Beleg, dass simpel digitalisiertes Puppentheater an Reiz verliert und zum Animationsfilm sprechender Köpfe wird. Nur Kopf und Text, keine Effekte, keine Bewegung, so konkret wie banal.

Zum Glück spielen Menzel & Sowa auf der Bühne weiter; Menzel nun in ein goldenen Phantasiekostüm gekleidet und als expressionistischer Dichter Paul Scheerbart vom Perpetuum mobile phantasierend. Die Vorstellung von der ewig laufenden Maschine darf man als Kommentar zu den Glücksversprechen der neuen automatischen Arbeitswelten deuten. Auch dort soll ja alles reibungslos funktionieren, ganz ohne Ermüdung, so gut wie ohne Verschleiß. United Puppets entgehen mit dieser schrägen metaphorischen Kommentarebene der Gefahr, sich im Gewirr der Thesen um Arbeits- und Nichtarbeitswelten zu verfangen.

Zugleich glückt ihnen das Kunststück, die Digitalisierung des Puppentheaters zu betreiben - in Ansätzen zumindest - und diesen Innovationsgang im selben Augenblick ironisch zu brechen. Auch ganz pragmatische Momente weist dieser Abend auf. Sowa stellt "Isadora" vor, ihr Steuerungsprogramm für Licht, Ton und Video. Das schafft perspektivisch gleich ein paar Mitarbeiter ab, Effizienz - und deren Kehrseite - ganz alltagspraktisch. Die Verknüpfung des Großthemas zukünftige Arbeitsgesellschaft mit den ureigenen Arbeitsbedingungen im Puppenspiel gelingt prächtig. (...)
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PRESSESTIMMEN WORKING SOCIETY

03 NEUES DEUTSCHLAND, DEZ. 2016 von Tom Mustroph

Parforceritt durch die Technologiegeschichte

Die Industrie 4.0 kommt auch im Puppentheater an. Hans-Jochen Menzel und Melanie Sowa sortieren angesichts der neuen digitalen Möglichkeiten ihre alten Handpuppen aus - und erkunden dabei Szenarien der digitalen Postarbeitsgesellschaft. Wen braucht es noch bei der Arbeit? Wer ist zur ewigen Freizeit verdammt? So lauten die Fragen des Premierenstücks »Working Society« der Compagnie United Puppets an der Schaubude Berlin.

Etwa vier Dutzend Puppen auf der Bühne machen »Working Society« zunächst zu einem echten Massenstück. Wie es Elementen von Massen aber meist geht, taucht das Gros nur kurz auf, wird digital vermessen und hat allenfalls die Chance, später als digitale Kopie im Programm »Crazy Talk« Münder und Augenlider zu bewegen. Regisseur Mario Hohmann und seine Spieler Menzel und Sowa gehen in ihrem neuen Stück den ganz großen Zukunftsfragen nach. Was geschieht, wenn selbstfahrende Autos Taxifahrer und auch das sich bei Uber verdingende Prekariat verdrängen? Was ist, wenn Info-Roboter Journalisten und Call-Center-Mitarbeiter, Stadtführer und Kinokartenverkäufer ersetzen oder die Krankenhaus- und Pflegeroboter den Bedarf an medizinischem Personal radikal reduzieren? Um die Debatte aus den aufgeregten Infotainment-Kaskaden unserer Zeit herauszuheben, putzt die Truppe Staub von ein paar Texten, die anlässlich früherer industrieller und technologischer Revolutionen entstanden. Da wird zum einen mit Friedrich Engels gewarnt, dass die Arbeit mit der Hand erst das Gehirn des Menschen reifen und ihn aus dem Tierreich sich erheben lässt. Wer nicht mehr arbeitet, sei also der Gefahr der Rückentwicklung ausgesetzt, lautet die These.

Dem wird mit Bertrand Russells »Lob des Müßiggangs« (1935) entgegengehalten, dass neue Technologien den Menschen der »Sklaverei der Arbeit« förmlich entrissen und es jedermann und jeder Frau ermöglichten, sich ganz den eigenen Neigungen hinzugeben. Eine Arbeitszeit von maximal vier Stunden täglich lautete die Faustformel des Mathematikers und Philosophen für die durch Automatisierung effizienter gewordenen Industriegesellschaften. Russell hatte die Folgen der Digitalisierung noch nicht einmal einkalkuliert. Wie auch: Als er im Februar 1970 starb, bestand das Arpanet, Vorläufer des Internet, gerade einmal aus vier Netzwerkpunkten. Aber die Fragen nach den sozialen Auswirkungen der Technologieschübe lauteten damals ähnlich wie heute: Befreiung durch Technologien, neue Versklavung oder lediglich Transformation von Abhängigkeiten? United Puppets lassen die Antwort offen.

In ihrem Parforceritt durch die Technologiegeschichte holen sie sich dramatische Schubkraft auch durch das geopolitische Großexperiment Atlantropa. Der Münchner Ingenieur Hermann Sörgel plante ab 1928 an einem Staudamm vor Gibraltar und der planmäßigen Absenkung des Wasserspiegels des Mittelmeers. Damit sollte nicht nur Land gewonnen werden. Der neue Hybridkontinent Atlantropa sollte auch dank des gigantischen Wasserkraftwerks an der Grenze zum Atlantik mit Energie versorgt werden. Wegen nicht zu kalkulierender ökologischer und politischer Folgen geriet das Großprojekt aber in Vergessenheit.

United Puppets testen zum Ende ihrer Performance schließlich aus, was die Digitalisierung für ihr eigenes Metier bedeutet. Einzelne Puppen werden digitalisiert und tauchen dank der Gesichtsanimationssoftware »Crazy Talk« als sprechende Köpfe auf der Leinwand auf. Auch sich selbst haben Sowa und Menzel digitalisiert und dann per 3D-Drucker in handgroßen Porträtpuppen re-analogisiert. Mit echten Robotern wollten die »Vereinigten Puppen« aber noch nicht spielen. Die seien in ihren Bewegungsabläufen noch zu eingeschränkt und würden durch ihre niedliche Anmutung die Thematik verharmlosen, meinte Regisseur Hohmann am Rande einer Probe.

»Working Society« nähert sich einem Großthema unserer Tage mit Freude am Denken, Freude am Spielen und der unbändigen Lust, die Erkenntnisse unmittelbar aufs eigene Metier zu übertragen. Ein schönes Unterfangen.



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